Betriebsräte müssen Arbeitnehmer benennen, die weniger schutzwürdig sind
22. November 2003 - Andreas Dittmann
Widerspruch gegen eine Kündigung präzise begründen
In Betrieben mit Betriebsrat ist dieser vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Der Betriebsrat kann einer ordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche widersprechen. Paragraf 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) eröffnet ihm dazu ein detailliertes Widerspruchsrecht mit fünf nummerierten Widerspruchsgründen. Ist der Widerspruch gegen eine Kündigung frist- und ordnungsgemäß erfolgt und hat der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben, muss der Arbeitgeber (Paragraf 102 Absatz 5 Satz 1 BetrVG) auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites weiter beschäftigen. Wie genau der Betriebsrat den Widerspruch formulieren muss und welche Begründung er zu liefern hat, war bisher in der Rechtsprechung umstritten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun mit seinem Urteil vom 9. Juli 2003 (Aktenzeichen 5 AZR 305/02) eine richtungsweisende Entscheidung für den Fall der Rüge der fehlenden oder unrichtigen Beachtung von sozialen Gesichtspunkten (Paragraf 102 Absatz 3 Nummer 1 BetrVG) getroffen. Diese Entscheidung erlegt den Betriebsräten eine große Verantwortung auf, wenn es um den möglichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung des gekündigten Mitarbeiters bis zum Ende seines Kündigungsschutzrechtsstreites geht. Ein ordnungsgemäßer Widerspruch setzt demnach voraus, dass der Betriebsrat aufzeigt, welcher vom Arbeitgeber bei der sozialen Auswahl nicht berücksichtigte Arbeitnehmer sozial weniger schutzwürdig ist. Der Betriebsrat muss dem Arbeitgeber plausibel darlegen, weshalb er zu einem anderen Ergebnis der Sozialauswahl kommt. Er muss dies auch tun, wenn der Arbeitgeber ihm keine Sozialdaten der nicht einbezogenen Mitarbeiter benannt hat. Dies gilt im Grunde sogar dann, wenn der Arbeitgeber von vornherein bestimmte Mitarbeiter aus der Sozialauswahl ausgenommen hat, weil er beispielsweise meint, dass eine Vergleichbarkeit nicht gegeben sei. Auch hier muss der Betriebsrat dem Arbeitgeber in seinem Widerspruch diese Mitarbeiter konkret benennen oder diese wenigstens anhand abstrakter Merkmale identifizierbar machen.Jeden Fall neu erläuternDer Betriebsrat darf sich für mehrere Widersprüche gegen die Kündigung verschiedener Arbeitnehmer nicht wiederholend darauf berufen, dass bestimmte Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einbezogen wurden und so quasi das gesamte Kündigungsprozedere rechtsunwirksam sei. Er muss dies für jeden einzelnen Fall neu begründen. Denn es genügt nicht die pauschale Rüge der fehlenden oder fehlerhaften Sozialauswahl, da der Betriebsrat mit der Ausübung des Widerspruchsrechts kollektive Interessen der Belegschaft wahrnimmt. Dies ist nach der Rechtsauffassung des BAG aber nur wirksam möglich, wenn der Betriebsrat den Widerspruch für jede beabsichtigte Kündigung so formuliert, dass er jeweils andere weniger schutzwürdige Arbeitnehmer bestimmt oder jedenfalls bestimmbar bezeichnet.