Vor einer Anzeige gegen den Chef sollten intern Missstände angesprochen werden
16. August 2003 - Karl
Kündigung wegen Strafanzeige
Im letzten Monat hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine viel beachtete Entscheidung getroffen. Ein Arbeitnehmer hatte gegen seinen Vorgesetzten Strafanzeige wegen des Verdachts der Veruntreuung von Geldern erstattet. Das Strafverfahren gegen den Arbeitgeber wurde später eingestellt. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich unter Einhaltung der Kündigungsfrist. Die Kündigung begründete er damit, dass die unberechtigte Strafanzeige einen schweren Vertrauensbruch darstelle. Der Arbeitnehmer habe nicht einmal versucht, eine interne Klärung herbeizuführen. Das Arbeitsgericht hielt die außerordentliche Kündigung für unwirksam, bestätigte die ordentliche Kündigung. Das vom Arbeitnehmer angerufene Landesarbeitsgericht hielt auch die ordentliche Kündigung für unwirksam. Das BAG wiederum stellt sich stärker auf die Seite des Chefs. In der Begründung hat das BAG klargestellt, dass die Strafanzeige eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber grundsätzlich eine erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten darstellen kann. Hierauf darf der Arbeitgeber mit einer ordentlichen Kündigung reagieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer in seiner Strafanzeige wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht oder wenn die Strafanzeige in Schädigungsabsicht erfolgt. Der Arbeitnehmer müsse zuvor eine innerbetriebliche Klärung versuchen.
Grundsätzlich haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenseitig besondere Nebenpflichten zu beachten. Der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers steht die Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber. Das heißt, der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen, dass er den Arbeitgeber dabei nicht schädigt. Er darf beispielsweise dem Arbeitgeber keine Konkurrenz machen oder Kunden bzw. Arbeitskollegen abwerben. Er unterliegt auch der Verschwiegenheits- und Geheimhaltungspflicht und darf weder Betriebs- noch Geschäftsgeheimnisse verraten. Der Arbeitnehmer hat den Arbeitgeber auch allgemein vor drohenden Schäden zu bewahren. Problematisch ist, ob der Arbeitnehmer von sich aus verpflichtet ist, Behörden auf bestehende Missstände hinzuweisen. Hier muss der Arbeitnehmer zunächst innerbetrieblich an geeigneter Stelle auf die Missstände hindeuten, um die Möglichkeit der Abhilfe zu geben. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG soll dies auch dann gelten, wenn strafbare Handlungen des Arbeitgebers vorliegen. Kritik an RechtsprechungDiese Rechtsprechung wird jedoch kritisiert. Stattdessen soll nach verbreiteter Auffassung ein innerbetrieblicher Abhilfeversuch dann entbehrlich sein, wenn mit Abhilfe durch den Arbeitgeber nicht gerechnet werden kann. Jedenfalls muss der Arbeitnehmer vor Erhebung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber sehr sorgfältig prüfen, ob tatsächlich Missstände bestehen, die so erheblich sind, dass sie eine Strafanzeige oder sonstige Anzeige bei einer anderen Behörde (z.B. Ordnungsamt, Umweltschutzbehörde, Arbeitsamt, Finanzamt) rechtfertigen.